Rezension: Benedict Wells – Vom Ende der Einsamkeit

Über „Vom Ende der Einsamkeit“ haben schon einige einige Worte verloren. Sie haben sie tosend in die Welt geschossen oder leise grummelnd vor sich hingesagt. Kurz: Dieses Buch wird geliebt – und gehasst. Ich wollte mal rausfinden, was es mit mir macht. Und ich weiß jetzt, was es ist. Die schönste Form von Hassliebe. Und ich erklär euch jetzt, warum.

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Jules ist das jüngste von drei Kindern und genau so einzigartig wie seine Schwester Liz und sein Bruder Marty. Ihre Eltern kommen bei einem Autounfall ums Leben und von da an erfahren die drei auf schmerzlichste Weise, was das Band zwischen Geschwistern zwar noch enger schnüren, aber auch zum Reißen zwingen kann.

„Noch immer lacht sie irre, und mich schaudert es. Liz hat diese abgründigen, schwarzen Augen bekommen. Die Augen von jemandem, der fällt und fällt und fällt.
Und sie liebt den Fall.“

In diesem Buch passiert wahnsinnig viel. Nicht im Sinne der klassischen Handlung, von wegen Spannungsmaus und Plottwist, etc. Sondern mit den Charakteren, deren Eigenarten, ihrer Entwicklung in sich und vor allem zueinander. Wichtig sind Jules, seine Geschwister, die verstorbenen Eltern in der Rückblende und Alva – Jules‘ erste und beste Freundin. Die Geschichte spinnt sich zum einen um die Leben der Geschwister, aber auch um Alva und Jules, um ihre Zeit zusammen, sowie ohne einander. Um die Wege, die sie gemeinsam gehen, hätten gehen können und wie sie schließlich wieder zueinander finden – sich nah sind und doch nicht ferner sein könnten.

„Nie den Mut gehabt, sie zu gewinnen, immer nur die Angst, sie zu verlieren.“

Und jetzt wird’s pathetisch. Denn so sehr mich dieses Buch berührt, begeistert und vor allem gegen Ende wirklich und wahrhaftig zu Tränen rührte – so sehr kurbelte es auch meine Augen an, die sich in regelmäßigen Abständen wie von selbst nach oben rollen wollten. Kurz: Benedict Wells zeigt in diesem Buch nicht selten seine Vorliebe für Metaphern. Für gewaltige Bildsprache, für pathetische Vergleiche und vor Schmalz triefende Sätze.

„Täglich wartete ich auf ein Zeichen von Liz, auf einen erklärenden Brief, eine Karte oder einen Anruf. Wie ein Schiffbrüchiger, der unermüdlich an den Knöpfen eines Funkgerätes dreht, in der Hoffnung, endlich auf eine Stimme zu stoßen. Doch alles, was von meiner Schwester kam, war ein jahrelanges Rauschen.“

Ein schöner, treffender Vergleich. Aber derartiges kam wirklich, wirklich oft.

„Das hier ist alles wie eine Saat. Das Internat, die Schule, was mit meinen Eltern passiert ist. Das alles wird in mir gesät, aber ich kann nicht sehen, was es aus mir macht. Erst wenn ich ein Erwachsener bin, kommt die Ernte, und dann ist es zu spät.“

Ausgesprochen reife Wortwahl für einen Teenager.

„Ihre Bemerkung versank in mir wie ein Stein, den man in einen See fallen ließ.“

Ok, und dann? Liegt der da unten und wird vergessen? Von Algen überwachsen? Ich verstehe schon – schwer, tief, ohne Widerstand, vielleicht für immer. Aber diese Metapher ist so einfach gewählt, dass sie mich nervte. Denn worauf sie sich bezog, bedarf keinerlei Erklärung einer Reaktion. Die Aussage war so krass und emotional, dass ich genau das fühlte, was mir dann kurz danach nochmal wörtlich ins Herz gelegt wurde. Brauch ich nicht.

Doch neben diesen Stellen, die – für mich – einfach eins drüber waren, waren so viele Stellen und Sätze und Situationen genau richtig. Auch für mich. Weil sie mich an etwas erinnerten, weil ich mich damit identifizieren konnte, weil sie fein beobachtet und aufgeschrieben wurden.

„Sie hielt ihr Buch mit beiden Händen umklammert, offenbar starb gerade eine geliebte Figur zwischen ihren Fingern. Und erst da hatte ich bemerkt, dass sie weinte. Ich hatte sie nicht stören wollen und konnte doch nichts daran ändern, dass ich diesen intimen Moment mit ihr teilte. „

Besonders das Komplexe zwischen Alva und Jules ist so feinsinnig und klar beschrieben, dass es wehtut.

„Alva lachte kurz. Dann aber verdüsterte sich ihr Gesicht, und mir war, als wäre sie mit den Gedanken plötzlich wo anders. Sie hatte jede Körperspannung verloren, und einmal schüttelte sie sogar den Kopf. Die Enttäuschung darüber raubte mir den Atem. Ich presste die Lippen zusammen, tanzte noch eine Weile allein weiter, ein tapferer Narr. „

Jules bittet Alva vergeblich zum Tanz. Zu einem Lied, dessen Bedeutung früher im Text erkennbar wird. Eine Szene, die dadurch in sich so simpel, aber wahnsinnig schmerzhaft ist.

„Weil meine Zeit mit ihr unweigerlich in der Vergangenheit lag und weil ich das nicht ertrug.“

Besonders mochte ich, dass ich Jules nicht immer mochte. Und Alva, Marty und Liz. Alle tun Dinge, die echt nicht cool sind. Sie sind Menschen voller Gefühle, Zweifel und egoistischer Gedanken. Trotzdem wickelt Wells ein unsichtbares Band um alle, das sie gemeinsam durch die Jahre trägt.

„Um Minuten gekämpft, wenn es darum ging, einen Bus noch zu erreichen. Jahre verschwendet, weil ich nicht das getan hatte, was ich wollte.“

Ich mochte Kleinigkeiten, wie heimliche Momente zwischen den Geschwistern. Ein gemeinsamer Drogen-Trip, um die Schwester zu verstehen. Das Urlaub machen und Flüchten in die Vergangenheit mit den Eltern, nach Frankreich. Die Zeitsprünge in Jules‘ Erzählungen, von seiner Jugend über das Studium bis zum Vater Sein. Ich mochte, wie Benedict Wells mich verflucht nochmal zum Weinen brachte.

FUX-FAZIT:

🦊🦊🦊🦊
4 von 5 Füxen.

„Vom Ende der Einsamkeit“ erfüllt genau, was man von ihm erwartet. Mit gefühlvoll beschriebenen Charakteren, einer tragischen Liebesgeschichte und der relevanten Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Es handelt vom Erwachsenwerden, vom Zweifeln, vom Hören auf sein Herz. Es hat mich genervt und zu Tränen gerührt, ich war verärgert und betroffen. Eine wirklich schöne Hassliebe. Alles in allem also ein Buch, das erlebt werden will.

„Mir ist natürlich klar, dass diese Phantasien kindisch sind. Und doch bin ich mir sicher, dass es in diesem Universum einen Ort geben muss, von dem aus betrachtet beide Welten gleich wahr sind. Die echte und die ausgedachte. Denn wenn alles vergessen und vorbei ist, wenn die Zeit in Milliarden Jahren alles entfernt hat und es keinen Beweis mehr für gar nichts gibt, dann spielt es keine Rolle, was die Wirklichkeit war. Dann sind die Geschichten, die ich mir in meinem Kopf ausgedacht habe, vielleicht genauso wirklich und unwirklich gewesen wir das, was die Menschen Realität genannt haben.“

Benedict Wells – Vom Ende der Einsamkeit
Diogenes Verlag,
Taschenbuch, 354 Seiten
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6 Kommentare zu „Rezension: Benedict Wells – Vom Ende der Einsamkeit

  1. Da bereitet man sich aufgrund der Insta-Story aufs Schlimmste vor – doch dann lese ich hier eine Rezi, die ich gern unterschreiben möchte 😀 Du bringst es einfach toll auf den Punkt, was dieses Buch mit einem macht. Man hasst, man liebt, man schmunzelt, man weint. Es kitzelt die Emotionen aus einem heraus und eben das mochte ich so gern daran. Manchmal steht man mit den Charakteren auf Kriegsfuß, aber das macht sie dann eben so interessant. Es ist vielleicht nicht das, was man erwartet, aber am Ende des Tages war ich doch ziemlich zufrieden mit dem Buch und von mir gab es auch eine 4/5 🙂 Danach habe ich dann „Die Wahrheit über das Lügen“ von ihm gelesen und bin immer noch nicht ganz sicher, womit ich weitermachen will. Ich liebäugel aber mit „Spinner“. Liebe Grüße 🙂

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  2. Ooooh, ich habe nur angesehen, wie viele Füchse du vergeben hast, weil ich mir das Buch gerade bestellt habe und noch nichts wissen will =) Aber da deine Bewertung so positiv ausfällt, bin ich guten Mutes, dass ich es auch mag.

    Sei lieb gegrüßt,
    Zeilentänzerin

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